Grüne Bande Kritiken
2024
Theater der Zeit
von Michael Helbing
erschienen am 2.7.2024
…„Es ist mal so gewesen. Und jetzt ist es eben so“, heißt es in diesem Stück einmal, das sehr spielerisch und mit einfachsten Mitteln von einer sich permanent verändernden Welt erzählt. Das Leben: so unbeständig wie das Wetter. An diesem Abend bei Ifta schieben sich zwischenzeitlich Regenwolken vor die Sonne, es bleibt aber trocken, ein Regenbogen zeichnet sich am Horizont dennoch ab.…
Dem thüringisch-hessischen Teilstück dieser innerdeutschen Grenze vor den Toren Eisenachs widmeten sich die Theatermacher zunächst derart, dass sie dorthin auf Recherchereise gingen, wohinein bis vor 35 Jahren ohne Passierschein kein Weg führte: in die damalige Fünf-Kilometer-Sperrzone. Zwecks „Feldforschung“ war man in Kindergärten und Schulen unterwegs, in Vereinen und Kirchgemeinden, Alters- und Flüchtlingsheimen. Spontane Gespräche auf der Straße offenbarten „ein krasses Mitteilungsbedürfnis“ der Leute, berichteten die Beteiligten anschließend.

Dass daraus ein poetisches, fantasievolles Clownstheater mit vier Darstellern und einem Musiker zwar ohne rote Nasen, aber mit kindlicher Naivität und Spielwut wurde – aufgeführt auch in Eisenach selbst sowie in den ehemaligen Grenzorten Treffurt, Vacha, Gerstungen und Herleshausen/Lauchröden – ist ebenfalls diesen Recherchen geschuldet. Ein Kindergarten hatte die Theaterleute mit dem Ruf „Die Clowns sind da!“ empfangen. Das wirkte sichtbar auf die Ästhetik ein.

Auf Holzleitern hocken vier wild kostümierte Figuren im Rund ihrer Manege, schauen durch Papprohre in weite Fernen und werfen sich kunstvoll unsichtbare Gegenstände zu: Klangklang (Alexander Müßig), Glückwunsch (Christoph Rabeneck), Inpetto (Friederike Fink) und Cäpt‘n Elster (Elisabeth Rasch). Sie beschwören einen „Star“, der ihnen etwas erzählt hat: eine Imagination, in der all die Gespräche mit Menschen, deren Erinnerungen das Stück grundierten, kulminieren.

Doch bevor Menschen ins Spiel kommen, ziehen sie auch anhand hoher Holzrahmen, die sich mit Scharnieren zu ein- und abgrenzenden Objekten verbinden lassen, für ihre Landschaft von Verlust und Trennung, Begegnung und Vereinigung den erdgeschichtlichen Horizont auf. Thetys, das Urmeer, taucht auf und wieder ab, um dem Wald Platz zu machen, der mithilfe des Publikums geräuschvoll entsteht und plötzlich einen Riss erfährt. Kein grünes, aber blaues Band ziehen sie durch die Szene, das einen Fluss bedeutet: Die Werra trennt das Land, das Brücken wieder verbindet, bevor Grenzzäune hochgezogen werden. Durch die wird der eine oder die andere gleichwohl noch schlüpfen können und dabei Wunden und Narben auf der eigenen Seele ebenso hinterlassen wie auf denen derjenigen, die er ohne Vorwarnung zurückließ.

„Manche Menschen schreiben Briefe, um ihre Tränen zu beruhigen“, beginnt dann eine Textstelle. „Manche Menschen schreiben Briefe, die bei anderen Menschen zu noch mehr Tränen führen. Manche Briefe werden nie geschrieben. Manche Briefe werden nie gelesen. Manche Briefe werden hunderte Male gelesen.“ Oder: „Den Brief musste ich jahrelang verstecken. Vor mir.“ Nach der Aufführung erklärt eine alte Zuschauerin in Ifta ihren Bekannten kurz und trocken, sie selbst hüte noch einen solchen Brief, der erst dann entdeckt werden würde, wenn sie nicht mehr da sei.

Dieses einstündige Theater verfügt über ausufernden Witz und einhegende Konzentration genug, um Kinder ab fünf Jahren, für die es konzipiert wurde, ebenso zu erreichen, wie Erwachsene, die abstrakte Spielebenen mit konkreter Erfahrung kurzschließen können. Das ist weder als Geschichtsunterricht noch als Sozial- oder Heimatkunde angelegt, inkludiert dergleichen aber in seine unmittelbar berührende Erzählung entlang der Kanten zwischen Natur- und Kulturlandschaft.

Sie feiern ausgelassen Wieder- und Neubegegnungen mit Menschen und Umständen nach dem Mauerfall, pflegen ihren phantomschmerzgeplagten Kater an den Tagen und Jahren danach, hadern mit Verlusten und entdecken Gewinn darin, ins Offene und Unbekannte zu laufen. Dieses insofern politische Clownstheater verwandelt sich danach noch in Stände als Spielstationen nicht nur für Kinder und reißt derart erneut eine Grenze ein: zwischen Akteuren und Zuschauern.

Weitere Aufführungen in ehemals realen sowie aktuell metaphorischen Grenzregionen plant man, jenseits des Landestheaters, jetzt fürs kommende Jahr.